Erzählungen
1986

200 Seiten, engl. Br.
D: € 14,50, A: € 15,00, SFR 26,50
ISBN 3-924652-05-8

Elisabeth Freundlich
Finstere Zeiten


Vier Erzählungen. Mit einem Nachwort von Werner Fuld

Die Erzählungen Der Stein der Weisen, Statt einer Ehrensalve, Die Gesundung, Im Steingebirg spielen im Österreich der Kriegszeit, im französischen Exil und im Nachkriegswien. Im Mittelpunkt stehen die unterschiedlichsten Personen, ihre Entscheidungen, Enttäuschungen und Lieben. Auch wo es um Ideen geht, um politischen Kampf, bleibt der Fokus der Autorin stets auf den einzelnen Menschen und sein Lebensdrama gerichtet.

Buchentstehung
1984 bot mir Elisabeth Freundlich diese Erzählungen an. Deren Sprache und Inhalt überzeugten mich sofort, und mit der Autorin blieb ich bis zu ihrem Tod in engem Kontakt.


Zur Autorin

Elisabeth Freundlich, 1906 in Wien geboren, emigrierte 1938 nach Frankreich. In Paris war sie Mitbegründerin der "Ligue de l'Autriche Vivante". 1940 Flucht in die USA, Lektorin an der Princeton University und Feuilletonredakteurin der "Austro-American Tribune". In Amerika heiratete sie Günther Anders und kehrte 1950 mit ihm nach Wien zurück. Übersetzerin, Mitarbeiterin bei diversen Zeitschriften (z. B. den Frankfurter Heften) und beim Rundfunk, Prozeßberichterstatterin in NS-Prozessen. Zahlreiche Beiträge zur Literatur des Exils. Buchveröffentlichungen u.a. Der Seelenvogel, Die Ermordung einer Stadt namens Stanislau, Die fahrenden Jahre. Die Autorin starb am 25. Januar 2001 in Wien.

Pressestimmen

"Desillusionierend: ja, aber gerade wegen ihrer Ehrlichkeit auch aufwühlend und ermutigend - so wirken diese Erzählungen, die, vielsträngig und vielschichtig, eigentlich kleine Romane sind." (Erich Hackl, Die ZEIT)

"Ein wunderschönes, todtrauriges und gleichzeitig Mut machendes Buch." (Ingrid Strobl, EMMA)

"Mir gefällt's gut, wie die Freundlich hinter der Butzenscheibenromantik und der Idylle Verlogenheit und Brutalität, Stumpfsinn und Gleichgültigkeit aufspürt. Außer Graf und Scharrer kenne ich niemand, der mit solch bösem, realistischen Blick das ländliche Leben seziert hat." (Stefan Gleser, Communale (Heidelberg))

"Es ist Gelegenheit, eine österreichische Autorin zu entdecken, die uns etwas zu sagen hat. Gerade in einem Land, das sich offenbar schwer mit seiner Vergangenheit tut, brauchen wir Leute, die als moralische Instanzen menschenfeindliche Zeiten im Gedächtnis behalten." (Anton Thuswaldner, Salzburger Nachrichten)

"Hier erfahren politische Ereignisse und Erkenntnisse in menschlichen Schicksalen eine gedankliche und poetische Verdichtung, die diese Finsteren Zeiten für uns nachdrücklich ins Licht rückt." (Barbara von Becker, Süddeutsche Zeitung)

Textprobe

"Attraktiv warst du nicht. Hundsmager, platt vorn und hinten, kamst du auf diesen gewissen Weltanschauungstretern daher, die wir, weiß der Himmel, warum, für so geeignet hielten, wenn man die Welt aus den Angeln heben wollte. Deine Röcke waren immer viel zu lang, weil du dich deiner Beine schämtest, X oder O, also das weiß ich nicht mehr, rachitisch jedenfalls. Mit allzuviel Butter und Milch hatte man dich nicht großgezogen, soviel war klar. Lieblos geschnitten, strähnig hing dein Haar, einen Friseur aufzusuchen, das waren für dich einfach Faxen. 'Wir haben die bessere Idee, aber die Nazis haben die hübscheren Mädels', pflegte einer aus der Gruppe zu sagen, und sah man dich an, mußte man ihm wirklich recht geben. Nur die Augen, die waren was. Für gewöhnlich würdigtest du einen keines Blickes, aber wenn das aus irgendeinem Anlaß dann doch geschah, dann ging einem das noch eine Weile nach. Braune Augen, sanft zumeist, und so ein fremdes Glitzern lag darin. Man konnte da hinein schaun und schaun und kam doch nicht auf den Grund. Damals hab' ich darüber natürlich nicht weiter nachgedacht. Ein Schnappschuß einfach und irgendwohin geschmissen. Aber als mir dieser finstere Geselle aus Mexiko über dich schrieb, da stand das Bild wieder in aller Schärfe vor mir. Ich war zu jener Zeit in New York, mitten im Krieg, 1940 oder so. Ich hatte ihn zuvor nur flüchtig, das eine oder andere mal in Paris getroffen. Aber seit er nach Mexiko entkommen war, schickte er mir regelmäßig diese Listen. Auf der einen Seite Namen, von denen ich den oder jenen kannte, auf der anderen Seite die französischen Deckadressen. Dabei konnte man Lebensmittel damals gar nicht mehr schicken. Man mußte Geld nach Portugal schicken, und die schickten dann - Sardinen. Anderes durften sie auch nicht mehr schicken. Und selbstverständlich nie ein Wort der Bestätigung von drüben, die waren allesamt verstummt. Man rannte Komitees die Türen ein wegen dieses Geldes, und dann erfuhr man nicht einmal, ob diese Laufereien überhaupt noch einen Sinn hatten. Dein Name fehlte seit einiger Zeit auf den Listen und so fragte ich ihn nach dir. 'Gestrichen, tot', schrieb er zurück, - aber damals warst du noch gar nicht tot! - 'vergiß sie. Streich auch du sie aus, sie hat nie gelebt, für keinen von uns!' Also, das war mir zu viel. Da waren plötzlich deine Augen da." (Statt einer Ehrensalve)