Neuausgabe der der 1938 erstmals erschienenen Erzählung

Herausgegeben und mit einem Nachwort von Andreas F. Kelletat
2024

112 Seiten, Hardcover
D: € 18,00, A: € 18,50
ISBN 9783924652463

Joachim Maass
Der Schnee von Nebraska


Zwei Männer fahren im Zug durch die unendliche Prärie von Nebraska. Bei einem Glas Whisky erzählt "der Doktor", ein Arzt, von dem abscheulichen Verbrechen, das sich vor Jahren in dieser Gegend zutrug: eine Kindesentführung in der Familie Dr. Watsons. Das ganze Land suchte nach dem Täter und dem verschwundenen kleinen Chuck. Nach und nach erfahren wir von den unglücklichen Verstrickungen Dr. Watsons, einem bekannten Chirurgen und Freund des Erzählers. Der Autor beschreibt meisterhaft, wie sich unbewusstes Wissen, das überlagert war, Bahn bricht: Watson hatte einen Gegenspieler, einen bösen Menschen, der sich an ihm rächte.
"Wüste, Prärie, die letzte Gottverlassenheit" hatte Maass anlässlich einer Reise durch Nebraska notiert. In dieser Gottverlassenheit wird "der Unbeachtete in des Achtlosen Leben zum Schicksal". Maass schildert die Ereignisse in ruhiger, fast lakonischer Sprache. Während der Blick sich anfangs von der verschneiten Weite auf das persönliche Schicksal der Familie Watson zubewegt, verliert sich das Geschehen am Ende in der großen weißen Endlosigkeit.

Buchentstehung

Am Anfang meiner verlegerischen Laufbahn, vor 40 Jahren, hatte mich Fritz Landshoff auf Joachim Maass aufmerksam gemacht und dringend empfohlen. Lange Jahre habe ich diesen Autor immer wieder hervorgeholt und mich mit ihm beschäftigt - jetzt erscheint seine Meistererzählung von 1938, erstmals erschienen in der Neuen Rundschau.

Zum Autor

Joachim Maass wurde am 11. September 1901 in Hamburg geboren. Der Vater war Kaufmann, und eine Zeitlang arbeitete Joachim Maass in dessen Auftrag in Portugal. Er übersetzte Lyrik aus dem Portugiesischen und schrieb ab 1930 Romane, Erzählungen, Reiseberichte und Feuilletons. Boheme ohne Mimi hieß 1930 sein erster Roman. Es folgten Der Widersacher und Die unwiederbringliche Zeit. Ein Testament war 1939 sein letztes Buch, das in Deutschland erschien. Maass emigrierte noch im selben Jahr in die USA und lehrte am Mount Holyoke College Deutsche Literatur. Diese Vorlesungen hat er 1949 unter dem Titel Die Geheimwissenschaft der Literatur veröffentlicht. 1945 war bei Bermann-Fischer in Stockholm Das magische Jahr erschienen, ebenso wie bereits 1944 dessen amerikanische Ausgabe in der Übersetzung von Erika Meyer.
Von 1945 bis 1949 gab er zusammen mit Richard Friedenthal die Neue Rundschau heraus. Sein größter Bucherfolg war 1951 Der Fall Gouffé, der viele Auflagen erlebte und in mehrere Sprachen übersetzt wurde.
1952 kehrte Maass nach Hamburg zurück, lebte ab 1954 jedoch wieder in Amerika. Warum, hat er in dem von Hermann Kesten 1964 herausgegebenen Band Ich lebe nicht in der Bundesrepublik erzählt.
1949 erschien Der unermüdliche Rebell, ein Buch über Carl Schurz, und 1957 Kleist, die Fackel Preußens.
1961 erhielt Joachim Maass den Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Künste.

Textprobe

Kalifornien, Nevada, Utah und Wyoming lagen hinter uns. Ebenmäßig, Stunde um Stunde, rollte unser Zug durch die ungeheure Prärie von Nebraska. Sie war eingeschneit; zuerst hatten noch Büschel schwarzen Steppengrases und hier und da eine kleine Wellblech-Hütten-Siedlung die grenzenlose Weite gemustert; aber mit dem Mittag und dem immer volleren Sonnenschein war auch diese letzte Unterbrechung verschwunden. Das Geblitz des Schnees hatte unsere Augen ermüdet. Nun wurde es Abend, und ein bedrückendes Grau senkte sich über das verlassene Gefilde. Es war eine schwermütige Fahrt.
Der Doktor kam mit einer Whiskyflasche, wir tranken, und ich schaute wieder hinaus. Er folgte meinem Blick und sagte, indes er sich mir gegenüber niederließ:
"Da ist nicht viel zu sehen."
Jetzt schaute auch er hinaus, und nach einer Weile fuhr er fort, und er sagte:
"Ich habe eine gewisse traurige und unheimliche Erinnerung an dieses Land Nebraska. Sie betrifft nicht gerade mich selbst, aber doch Menschen, die mir nahestanden - das Dunkel, das alles verschluckt, hat auch sie inzwischen zu sich genommen.
Ich will Ihnen die Geschichte erzählen und will sagen: Sie spielte in einem Orte namens Omaha, wo wir heute Abend vorbeikommen werden; es war nicht Omaha, sondern viel, viel kleiner und diesem nur dem Klange nach ähnlich, das Städtchen Ogallala an der Grenze Nebraskas nach Iowa hin gelegen, am Rand der Wüste, die wir jetzt durchfahren. Dort finden Sie zwar noch ein paar Wäldchen, Buschwerk, hier und da eine Siedlung und sogar ein Flüsschen, dessen Bett aber im Sommer fast immer austrocknet; im Ganzen war es jedenfalls eine typische Präriestadt.
Dorthin wurde aus einem schwer verständlichen eigenen Antriebe ein Mann verschlagen, den ich sehr hoch schätzte, ja: verehrte, ein Arzt namens Doktor Watson."