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Juliette Pary
An die Deutschen
Der Gedichtband "An die Deutschen" erschien 1946 in Paris, verfasst in deutscher Sprache von einer Dichterin, die keine Deutsche war.
Doch diese großartigen Gedichte haben ihre Adressaten nie erreicht, sie fanden keinerlei Echo - keine Lyrikanthologie kennt sie,
nicht einmal in Sammlungen zur Holocaust-Literatur kommen sie vor.
Die Gedichte sind die Abrechnung einer selbstbewusst kämpferischen Jüdin mit den Verbrechen der deutschen "Mörder-Horden".
Juliette Pary scheut keine Drastik, um ihre Verzweiflung und Wut und den Wunsch nach Rache in kühne Wortballungen zu zwingen. Zugleich
hält sie fest an ihrer Liebe zur deutschen Sprache und Literatur. Der Blick weitet sich ins Universalgeschichtliche, sie spricht über
die Auswirkungen des Patriarchats und der sozialen Ungleichheit und die Hoffnung auf Freiheit in einer Weltenrepublik. Sie ruft ihre
Lieblingsdichter an - Heine, Puschkin, Whitman, Goethe - und kämpft mit nächtlichen Dämonen. Sie gedenkt der in
Vernichtungslagern und im Widerstand Ermordeten und setzt ihnen ein Denkmal. Es sind erschütternde, aufrüttelnde und
zugleich schmerzhaft wehmütige Gedichte, die nun erstmals in Deutschland vorliegen.
Buchentstehung
Der Herausgeber, Andreas F. Kelletat, stieß bei seinen Recherchen zur Schriftstellerin und Übersetzerin Nina Gourfinkel auf deren
Schwester Julia, die später das Pseudonym Juliette Pary bzw. Julia Renner annahm. Ihre Gedichte haben uns sehr beeindruckt, und wir
entschlossen uns zu einer Neuausgabe.
Zur Autorin
Juliette Pary ist das Pseudonym der Schriftstellerin Julia Gourfinkel, die 1903 in Odessa geboren wurde, seit 1925 in
Paris lebte und französisch schrieb. Ihre Reportagen für Magazine wie Marianne oder Vendredi befassen sich mit sozialen Themen.
Sie engagierte sich in Volksfront-Aktivitäten zugunsten der Jugend und veröffentlichte darüber zwei Romane. Außerdem übersetzte
sie Literatur aus dem Englischen, Russischen, Deutschen sowie Jiddischen ins Französische. 1938 sprach sie auf einem internationalen
Friedenskongress in Marseille über die Probleme jüdischer Flüchtlinge. 1940 floh sie aus Paris in die unbesetzte Zone und 1942
weiter in die Schweiz. 1944 kehrte sie ins befreite Paris zurück, wo sie in der Fremdsprache Deutsch ihre Gedichte An die Deutschen schrieb
und unter dem Pseudonym Julia Renner veröffentlichte. Nach der Staatsgründung Israels reiste sie in die Wüste Negev und berichtete als erste
europäische Journalistin über die dortigen Kämpfe mit der ägyptischen Armee. 1950 starb sie in Vevey.
Textprobe
1944
Ich hab keine Muttersprache,
Weil ich eine Jüdin bin.
Zu verkörpern meine Gabe,
Mich der fremden Sprach bedien.
Fremde Sprach, die mir gefahren
Zaubernd plötzlich in die Haut!
Russisch und Französisch waren
Mir doch ehmals mehr vertraut.
Würde lieber dichten russisch,
Würde lieber dichten welsch.
Und muss dichten jetzt germanisch,
Weil's dem Größeren gefällt.
Dieser Ahnungs-Dichtungs-Zauber
Ist von mir der deutsche Teil,
Die romantisch blaue Blume ...
Goldne Blume, mach mich heil!
Ewig goldne Weisheitsblume!
Lebensrose licht und rot!
Kommt, gesellt Euch zu der Ahnung,
Zu der Blüte heimlich hold.
Zu der heimlich holden Blüte,
Zu dem Weiß und zu dem Blau,
Zu dem deutschen Herz-und-Schmerzen
Auf romantisch grüner Au.
Auf romantisch grüner Aue,
Die mit Judenblut getränkt ...
Deutsche Männer, deutsche Frauen,
Nie und nimmer das vergesst!
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